Um ein Horoskop zu erstellen, benötigen wir ein Datum, einen Ort und eine möglichst akkurate Uhrzeit. Heutzutage ist präzise Zeitmessung kein Problem und im Zweifel sind diese Daten normalerweise beim Standesamt dokumentiert. Die Grundlagen der Horoskopie, die heute noch gültig sind, wurden in der Antike konzipiert. Wie präzise und mit welchen Mitteln hat man eigentlich damals die Zeit gemessen, und wie stellte man die Geburtszeit für ein Neugeborenes fest?
Mythos und Realität: Wie antike Astrologen wirklich arbeiteten
„Denn sie sagen, dass nachts der Chaldäer (babylonischer Astrologe) auf einem hohen Bergkamm saß und die Sterne beobachtete, während jemand anderes neben der gebärenden Frau saß, bis sie entbunden hatte. Und als sie entbunden hatte, gab er sofort dem Mann auf dem Berg ein Signal mit einem Gong. Und dieser notierte das aufsteigende Tierkreiszeichen als Aszendenten.“
So will es der Skeptiker und Astrologie Gegner Sextus Empiricus im 3. Jh. n. Chr. seinen Lesern weismachen, aber diese Aussage zeigt, dass er keine Ahnung hatte, wie Astrologen im alten Mesopotamien und zu seiner Zeit wirklich arbeiteten.
Zum einen gibt es bis heute keinen Beleg dafür, dass die Chaldäer den Aszendenten bestimmten, dies scheint viel mehr eine spätere hellenistische Entwicklung zu sein. Längst hatten außerdem die antiken Astrologen und auch bereits ihre Vorgänger, die sogenannten Chaldäer, herausgefunden, dass man die Horoskopfaktoren berechnen konnte und nicht mehr am Himmel ablas. Und hätte Sextus Empiricus ein bisschen nachgedacht, wäre er vielleicht darauf gekommen, dass es auch Taggeburten gibt, aber dass man bei Tageslicht das aufsteigende Zeichen, also den Aszendenten, gar nicht sehen kann.
In der antiken Welt war es für Astrologen trotz der damals schon möglichen Berechnungen eine aus verschiedenen Gründen eine große Herausforderung, genaue Geburtszeiten zu ermitteln. Zunächst einmal waren sie normalerweise eben nicht bei einer Geburt anwesend. Stattdessen erhielten sie die Geburtsdaten von den Eltern oder direkt vom Klienten. Für eine genaue Erstellung eines Geburtshoroskops war es daher wichtig, dass die Menschen Zugang zu Zeitmessinstrumenten hatten und diese auch nutzten. Das war im römischen Reich kein Problem:
Herausforderungen der genauen Zeitmessung für antike Astrologen
Sonnen- und Wasseruhren waren im öffentlichen Raum weit verbreitet. Die Zeit wurde außerdem für die breite Bevölkerung auch oft ausgerufen. Im Alltag genügte eine grobe Zeiteinteilung in Stunden oder noch gröber. Bei diesen Zeitangaben handelte es sich um sogenannte saisonale Stunden: Diese variieren in ihrer Länge je nach Jahreszeit und der geografischen Breite des Ortes, an dem sie gemessen wird. In der antiken Zeit wurde der Tag in zwölf Stunden von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang und die Nacht ebenfalls in zwölf Stunden von Sonnenuntergang bis Sonnenaufgang eingeteilt. Da die Länge des Tages und der Nacht je nach Jahreszeit unterschiedlich ist, sind auch die saisonalen Stunden unterschiedlich lang. So konnte eine Stunde bei Tag beispielsweise 75 Minuten und bei Nacht dagegen nur 45 Minuten dauern.
Diese typische Genauigkeit von einer saisonalen Stunde war für viele Menschen im Römischen Reich durch Sonnenuhren am Tag und Wasseruhren in der Nacht verfügbar und wurde oft genutzt, allerdings waren diese Geräte meist nicht sehr zuverlässig: Der römische Schreiber Seneca (1. Jh. n. Chr.) bspw. bemängelt die Genauigkeit der Sonnenuhren, indem er erwähnt, dass es es einfacher sei, zwei übereinstimmende Philosophen zu finden, als zwei übereinstimmende Sonnenuhren.
Auch Astrologen verwendeten diese Uhren, obwohl sie für ihre Arbeit oft eine höhere Präzision benötigten, als diese Instrumente bieten konnten. Eine Zeitangabe auf die saisonale Stunde konnte problematisch sein, wenn ein Zeichen gerade den Aszendenten wechselte. Da durchschnittlich alle vier Minuten ein neuer Grad am Aszendenten aufsteigt, konnte ein genauer Zeichenwechsel oft nicht präzise erfasst werden. Andere astrologische Techniken, wie die Bestimmung der genauen Grenzen („horia“) eines Tierkreiszeichens, erforderten ebenfalls eine höhere Genauigkeit.
Ptolemäus hat die Lösung
Claudius Ptolemäus (2. Jh. n. Chr.) thematisiert dies in seinem berühmten Werk „Tetrabiblos“: „Sehr oft nun herrschen Zweifel bezüglich des ersten und wichtigsten Teils, welche naturgemäß die Stunde der Geburt ist, denn grundsätzlich kann nur ein Blick auf das Astrolabium allein die Minute der Geburt erweisen. So täuschen die übrigen Hilfsmittel, die den Zweck haben, die Stunde anzugeben, von denen verschiedene in Gebrauch sind, sehr oft. Sonnenuhren versagen, wofern sie nicht richtig aufgestellt sind, oder weil ihr Zeiger nicht genau rechtwinklig zur Meridianlinie abgepasst steht. Wasseruhren sind ebenfalls nicht immer zuverlässig, infolge der natürlichen Veränderungen des Wassers. (…) Wir sehen, dass es also notwendig ist, nach einer Art zu suchen, welche zuverlässig den aufsteigenden Grad des Tierkreises zu finden ermöglicht.“
Für Ptolemäus ist es also sehr wichtig, das aufsteigende Zeichen auf den Grad genau bestimmen zu können, selbst wenn dies angesichts der fehleranfälligen Sonnen- und Wasseruhren eine herausfordernde Aufgabe darstellt. Er hält es nicht für unmöglich, wenn der Astrologe Zugang zu einem Astrolabium hat und weiß, wie man es benutzt. Demnach wäre eigentlich zu erwarten, dass Astrologen eine größere Genauigkeit anstrebten. Aber selbst wenn ein Astrologe Zugang zu solchen präziseren Instrumenten für die Zeitmessung und sehr akkurate Tafeln für die Berechnung gehabt hätte, wäre er immer noch abhängig von genauen Ausgangsdaten wie der Geburtszeit gewesen, die der Klient ihm lieferte - und deren Angaben scheinen wie gesagt selten genauer als eine saisonale Stunde gewesen zu sein. Um eine so grob angegebene Zeit der Geburt zu präzisieren, bietet Ptolemäus eine spekulative Berechnungsmethode an (den sognannten "Animodar", der übrigens ganz brauchbar ist). Eine zuverlässigere Lösung war offenbar zu dieser Zeit nicht umsetzbar.
Hellenistische Sonnenuhr, 2. Jh. v. Chr.