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Ganzzeichenhäuser: Ältestes antikes Häusersystem oder eine Erfindung der Moderne?

In den letzten Monaten entbrannte im Internet ein Streit um das System der Ganzzeichenhäuser. Aufgeworfen wurde diese Diskussion von der englischen Astrologin Deborah Houlding, die infrage stellt, dass dieses Häusersystem wirklich existierte. Sie hält es für eine Erfindung von Astrologen des Hindsight Projects der 1990er Jahre. Diese Position wird inzwischen auch von anderen Astrologie Interessierten vertreten. Die Begründung für dieses Statement ist, dass es in den Quellen keine Belege für dieses System gäbe. Tatsächlich gibt es jedoch reichlich Belege, die dafür sprechen, dass dieses System nicht nur existierte, sondern dass es auch das meist verbreitete Häusersystem war. Da es bereits von den ersten Quellen erwähnt wird, gilt es auch als das älteste antike Häusersystem.

Der US-amerikanische Astrologe Chris Brennan hat einige der Belege zusammengetragen: https://www.youtube.com/watch?v=01IFZSjAoP0

Belege für das antike Ganzzeichenhaussystem:

  • Die ältesten überlieferten Papyrus Horoskope listen die Positionen des Aszendenten und Planeten in den Tierkreiszeichen i.d.R. ohne Gradangaben auf. Antike astrologische Handbücher nutzen dasselbe griechische Wort für Zeichen und Haus, nämlich Topos. Hätten sie ein inäquales Haussystem verwendet, in dem also ein Haus nicht einem Zeichen entspricht, hätten sie es nicht nur herausgestellt und vermutlich auch beschrieben, sondern sie hätten auch die Grade des Aszendenten angeben müssen. Der Grund: Für inäquale Häuser, in denen ein Quadrant in 3 ungleich große Abschnitte aufgeteilt wird, braucht man den Grad des Aszendenten (ebenso für andere äquale Systeme, die vom AC ausgehen) und auch den MC, dessen sichere Berechnung erst von Ptolemäus gegeben wurde, aber ähnlich wie heute sich als neue Methode nicht von heute auf morgen durchsetzte. Für die Bestimmung der Häuserverteilung mit dem Ganzzeichenhaussystem ist die Planetenposition ohne Gradangabe jedoch völlig ausreichend. 
  • Vettius Valens (2. Jh. n. Chr.) ist eine der wichtigsten Quellen für antike Astrologie. In den über 100 Horoskop Beispielen, die durch ihn überliefert wurden, gab er in 95% der Fälle keinen Grad für den Aszendenten an. Auch er listete die Positionen des Aszendenten und der Planeten in den Zeichen auf, um dann die verschiedenen Häuserpositionen und ihre Bedeutung zu erklären - ohne dabei auf ein Haussystem zu verweisen, das vom Ganzzeichenhaussystem abweicht.
  • Dorotheus von Sidon (1. Jh. n. Chr.) bringt mindestens 8 Horoskopbeispiele, die glücklicherweise samt Graphiken überliefert sind (vgl. Dorotheus of Sidon, Carmen Astrologicum, übersetzt von D. Pingree, Abingdon 2005). Auch er beschreibt die Bedeutungen der Häuser, in denen die Planeten zu finden sind. Wären es inäquale Häuser, hätte es Verschiebungen zwischen Zeichen und Haus geben müssen, die er hätte erklären müssen. Die Beispielhoroskope von Dorotheus und Valens sind übrigens keine konstruierten idealisierten Horoskope, sondern Beispiele mit Daten von echten Personen, darunter waren auch berühmte Herrscher. Unten eine der genannten Graphiken von Dorotheus. Sie zeigt eindeutig kein von den Zeichen getrenntes Häusersystem, sondern das Ganzzeichenhaussystem, in welchem Zeichen und Häuser identisch sind: 

Ganzzeichenhäuser bei Dorotheus

 

  • Zusätzlich möchte ich noch auf einen Beleg aus dem 12. Jh. n. Chr. (!) verweisen, der explizit auf die Struktur der Ganzzeichenhäuser eingeht: Avraham Ibn-Ezra behandelt die Beziehungen zwischen Häusern und Zeichen (vgl. The Book of Nativities and Revolutions, übersetzt von Meira B Epstein, Arhat Publications, 2008). Neben der traditionellen Auflistung der Hausbedeutungen zeigt Ibn Ezra, wie spezifische Muster von Haus/Zeichen-Überlagerungen mit eigener Bedeutung entstehen, die durch das aufgehende Zeichen bestimmt werden. So hat beispielsweise mit diesem System jeder Mensch, bei dem Waage am Aszendenten (= 1. Haus) steht, zugleich eine starke Verbindung zu den Themen des 8. Hauses, da die Venus zugleich über Waage und über Stier herrscht - und mit dem Ganzzeichenhaussystem fällt der Stier in Haus 8, wenn Waage am Aszendenten steht (s.u.). Auch bei anderen antiken Autoren finden sich Hinweise auf solche Zeichen-Haus-Beziehungen. Gerechterweise muss aber auch gesagt werden, dass dieses Schema auch mit äqualen Häusern funktionieren würde.

Dies ist nur eine kleine Auswahl von antiken Belegen für das Ganzzeichenhaussystem. Mehr zu dieser Auseinandersetzung findet sich im Netz unter „Whole Sign House Denialism“.

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Birgit von Borstel

Kursleitung:

DAV-geprüfte Astrologin, studierte Philosophie, Psychologie und Musikwissenschaft in Hamburg. Zunächst in der Musikbranche im Marketing tätig, absolvierte sie nebenberuflich von 1999 bis 2002 eine Ausbildung in psychologischer Astrologie. Es folgten Weiterbildungen in traditioneller Astrologie. Seit 2006 arbeitet sie als Berufsastrologin in Berlin, ist als Heilpraktikerin für Psychotherapie qualifiziert und war 2011 bis 2021 in der DAV-Prüfungskommission. Seit 2007 unterrichtet sie Astrologie, 2023 gründete sie die Online-Akademie für Traditionelle Astrologie. Die hier angebotene Ausbildung ist seit 2022 DAV-zertifiziert. Aktuell studiert sie Geschichte und Religionswissenschaften mit Schwerpunkt Astrologiegeschichte.

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